Der Hauptfilm hat noch nicht begonnen (NWDR Hamburg 1952-56)

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c.n.-tonfilm
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Der Hauptfilm hat noch nicht begonnen (NWDR Hamburg 1952-56)

Beitrag von c.n.-tonfilm » 29.12.2010, 20:02

Diese Sendereihe des späteren "Stahlnetz"-Regisseurs Jürgen Roland kann wohl als Urvater der Berichterstattung über aktuelle Kinofilme und "Making of"-Sendungen im Fernsehen gelten. Roland stellte unter dem Motto " Neue Filme - ferngesehen, nahbetrachtet." aktuelle deutsche und internationale Kinofilme vor, besuchte dabei die Dreharbeiten und interviewte die Stars. Informationen über den Inhalt der einzelnen Folgen, die Titel der vorgestellten Filme und die Namen der Gaststars sind leider spärlich. Die Sendereihe stellt somit definitiv einen medialen Schatz an Behind-the-Scenes-Material (!) von Spielfilmen aus der ersten Hälfte der 50er Jahre (!) dar, den es erst noch zu heben gilt . Gegeben hat es mindestens 20 Episoden, die zwischen 1952 und 1956 im Hauptabendprogramm der ARD liefen. Die Sendelänge von anfangs 30 Minuten wurde später auf 45 Minuten ausgeweitet.

Filmmaterial ist jedenfalls noch erhalten, wie dieser Ausschnitt einer Sendung von 1954 beweist, der in einem Portrait über Jürgen Roland gezeigt wurde:

Bild
Autogrammjäger, Antje Weisgerber, Willy Birgel im Interview mit Reporter Jürgen Roland bei Außenaufnahmen zu "Rittmeister Wronski" (Ulrich Erfurth, 1954)


Stellvertretend für die vielen, uns heute unbekannten Überraschungen, die die Serie bergen mag, seien hier Jürgen Rolands Erinnerungen an eine Episode zitiert, in der er den britischen Komiker Norman Wisdom und Heinz Erhardt gemeinsam in der Sendung zu Gast hatte:

"Eine Meisterleistung«, so eine Programmzeitschrift 1956, »vollbrachte der Fernseh-Neuling Jürgen Roland, als er den bekannten englischen Komiker Norman Wisdom und unseren Heinz Erhardt zusammen vor die Kamera brachte. Wisdom konnte kein Deutsch, Erhardt kein Englisch. Trotzdem gab es unter Jürgen Rolands gewandter Regie ein Mordsgaudi!"

Jürgen Roland erinnert sich:

"Wir machten damals noch sehr viel lebendiger Fernsehen als heute, man konnte mittags noch abends ins Programm kommen. Die ARD bestand noch nicht aus neun Anstalten, und Hamburg war mit dem NWDR/NNRV federführend. Meine erste Fernseharbeit war eine Reihe mit dem Titel "Der Hauptfilm hat noch nicht begonnen", wir stellten Kinoerfolge der Zeit vor. Ein Verleiher meldete sich, er habe einen Film entdeckt, einen Mann, einen englischen Komiker, Noman Wisdom. Dessen Film sollte bei uns starten, und es hieß, er selbst käme zur Premiere nach Hamburg. Ich hakte sofort nach: "Können wir den für meine Sendung kriegen?" Ich hörte, der Wisdom sei eine Art "Kellerkind", der spricht kein Wort Deutsch.

Ratlosigkeit. Ich fragte meine damalige Braut, Eva, meine heutige Frau, sie war Dolmetscherin: "Können wir das zusammen machen?" Wir sahen den Film und fanden den Wisdom viel komischer als Chaplin, viel bestürzender. Sie winkte verständlicherweise ab: Der Mann war Vollblutkomiker, wer den simultan übersetzen wollte, würde alt aussehen. Ich wollte aber die Sendung, und mir fiel Heinz Erhardt ein (...) und ich sagte: "Ich versuche, den Erhardt dazu zu kriegen, die könnten sich verstehen, auch ohne die Kenntnis der Sprache des anderen!" Ich rief ihn an: "Können Sie Englisch?" Nein, konnte er nicht, Lettisch ja, Russisch auch, Englisch nicht. Das konnte ja heiter werden. Aber er machte es mir leicht: "Ich komme erst mal raus zum Sender." Einen Dolmetscher? Nee, brauchte er nicht. Wisdom kam, und wir wurden improvisiert nach der Tagesschau ins Programm geschoben.

Wir saßen im Studio vor den Kameras und sahen die englischsprachigen Filmausschnitte auf unserem Monitor, die Sendung wurde damit eingeleitet. Erhardt verstand kein Wort, aber er lachte sich schief und Wisdom lachte wiederum über ihn, der Funke hatte sofort gezündet. Die Regie war pfiffig und blendete die beiden vorm Monitor zu den laufenden Filmausschnitten ein. Als wir dann im Bild waren, umarmte Erhardt den Wisdom spontan und begeistert und machte aus der Tatsache, daß er kein Englisch sprach, sofort eine Nummer. Wisdom spielte auf Anhieb mit, sie verständigten sich problemlos auf ihrer gemeinsamen Welle: Komik und Professionalität. Und bolzten jetzt vor offener Kamera jeder seine spärlichen Sprachbrocken heraus, spielten sich zusammen hoch: Erhardt mit einer handvoll englischer Komplimente, Wisdom umgekehrt mit ein paar Brocken Deutsch, die sie zu immer komischeren Verdrehungen hochpaukten, zu einem urkomischen Kauderwelsch-Dialog. Das lebte von der gegenseitigen, unbestrittenen Hochachtung. Keiner spielte sich dabei nach vorne, keiner der beiden nutzte gnadenlos die Tatsache aus, daß der andere seine Sprache nicht beherrscht. Zwei große Spaßmacher bedienten ihr Publikum zehn Minuten lang aus dem Stegreif, unnachahmlich, unvergleichbar, glänzend. Und für mich wurde es das erste und einzige Interview, in dem ich praktisch kein Wort gesagt habe!"

Bild
Heinz Erhardt und Norman Wisdom in Hamburg, 1956

(Zitiert nach: Berg/Klugmann; Heinz Erhardt, dieser Schelm!; Hannover, Fackelträger 1987)


Nachweisbare Sendetermine mit Inhalten, soweit in der TV-Zeitschrift mit angegeben:

31.07.1954
21.08.1954
04.09.1954 "Schloß Hubertus" - "Liebe, Brot und Fantasie" - "08/15" - "Sie"
25.09.1954
12.01.1955 "Die flimmernde Leinwand - von Geiselgasteig bis Hollywood"
24.01.1955
07.02.1955 "Filmkunst aus Paris und Rom"
16.02.1955 "Die filmische Leinwand, von Geiselgasteig bis Hollywood"
05.03.1955
16.03.1955 "Filmkunst aus Paris und Rom"
12.04.1955
06.05.1955
01.07.1955
12.08.1955
26.09.1955
17.10.1955
28.11.1955
20.12.1955
20.01.1956
21.03.1956


Eine Veröffentlichung würde sicher mehrere Zielgruppen ansprechen.

ckock_2000
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Beitrag von ckock_2000 » 10.01.2011, 10:17

Da würde ich blind zugreifen, wenn diese Raritäten auf DVD rauskommen sollten.

Aber leider habe ich da wenig Hoffnungen - viel TV-Material aus den frühen 50ern existiert wohl nicht mehr.

Chris

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